Aktion Turmuhr
Es ist Freitag, der 27.Januar 2022.
Auf dem Parkplatz der Sankt Gallus Kirche Detfurth traffen nach und nach gegen 14.00 Uhr sieben Personen ein: Es sind die Herren Bernward Klauenberg, seine Söhne Alexander und Florian, sein Bruder Reinhard, Josef Bertram und Andreas Marheineke und ich – Benno Leinemann.
Alle sind arbeitsmäßig gekleidet. Die Süd- und die Norduhr des Kirchturms sollen abmontiert und an einem Seil heruntergelassen werden. Die Zeiger und Zifferblätter sind durch die Witterung im Laufe der Zeit angegriffen und deshalb schlecht erkennbar. Eine Renovierung ist daher geplant.
Das Wetter ist an diesem Tag relativ gut. Es ist nicht kalt und die Sonne scheint die meiste Zeit. Ab und zu kommt eine Windböe auf. Die Windböen stellen eine gewisse Unberechenbarkeit dar, aber alles in allem sind die Bedingungen für die Aktion recht gut. Petrus ist den Männern also gut gesonnen, entsprechend gut ist die Stimmung und jeder ist zuversichtlich, dass die Aktion gelingen wird. Um 14.00 Uhr geht es los.
Zum Anfang
Die Aktion begann im Oktober 2021. Herr Dirk Zeyher, Restaurator aus Hildesheim kam um die Uhrenscheiben in Augenschein zu nehmen und dem Kirchenvorstand ein Angebot zur Restaurierung zu unterbreiten. Der Kirchenvorstand erhielt ein akzeptables Angebot, jedoch stellte sich eine Problematik heraus: Die runden Öffnungen im Turm, vor die die Uhren vormontiert sind, haben einen Durchmesser von 1,50m. Die Uhrenscheiben haben jedoch einen Durchmesser von 1,54 m und können nicht geteilt werden. Die Uhrenscheiben können also nur nach außen abgenommen werden.
Man brauchte ein Gerüst, aber dass war nicht so einfach, da sich die Uhren in einer Höhe von ca. 31 m Höhe eingebaut sind. Eine Anfrage durch Andreas Marheineke ergab, dass ein Gerüst ca. 70.000 Euro kosten würde. Dass sprengte jedoch den finanziellen Rahmen. Es musste eine andere Lösung her oder die Restaurierung wäre nicht möglich.
Mit Bernward Klauenberg vereinbarte ich einen Termin für eine Besichtigung der Lage im Turm. Wir wollten prüfen, ob ein Herunterlassen der Uhren an einem Seil in Frage kommen würde, da wir das Gewicht der Uhrenscheiben nicht sehr hoch einschätzten. Ein paar Tage später waren wir auf der Uhrenetage im Turm. Die Uhrenscheiben waren innen mit 6 Schrauben mit dem Mauerwerk verschraubt. Der Ausbau wäre also kein Problem. Die Uhrenscheiben müssten dann über eine Seilrolle heruntergelassen werden.
Bernward und sein Bruder Reinhard hatten die Idee, einen Seilausleger zu bauen, den man nach Ausbau der Uhr ein Stück herausschieben könnte um mit der Seilrolle vor das Mauerwerk zu kommen. Ich hielt die Idee für gut. Wir führten einige Messungen durch um die Machbarkeit zu prüfen. Viel Platz war nicht, aber man könnte einen Seilausleger bauen, der sich 50cm herausschieben ließe. Dann wäre die Seilrolle vor dem Mauerwerk und man könnte die Uhren herunterlassen.
Wir durchdachten jedes Detail der Aktion. Das Gewicht der Uhren schätzten wir auf 30 kg. Nach einer Stunde stand der Plan fest. Wir waren fest überzeugt, dass wir mit einem Team von mindestens 5 Personen unter Beachtung aller Sicherheitsmaßnahmen die Aktion erfolgreich durchführen könnten.
Aber ob etwas daraus werden würde? Würde der Kirchenvorstand uns oder eine Firma damit beauftragen? Ich beschloss dies bei der nächsten KV-Versammlung vorzuschlagen.
20. November 2021: Der Kirchenvorstand hatte grünes Licht gegeben. Bernward und ich hatten die nötigen Materialen besorgt, teils im Baumarkt, teils im Internet, einschließlich der Sicherheitsausrüstungen. Die runden Platten, die nach dem Ausbau der Uhren die Öffnungen verschließen sollten, hatten wir hergestellt , ebenso wie den ausfahrbaren Seilausleger, dass Kernstück der Unternehmung.
Wir bauten den Ausleger im Turm ein, zunächst bei der Norduhr, dann an der Süduhr, er passte auf beiden Seiten und konnte in wenigen Minuten umgebaut werden. Das 50m lange 24mm dicke Seil zum Herunterlassen wurde an der Uhr befestigt. Alles war vorbereitet. Das Team stand fest, wir konnten jederzeit starten. Nach der Terminabsprache mit der Firma Zeyher planten wir die Aktion ab Ende Januar 2022 durchzuführen, je nach Wetterlage.
27. Januar 2022 14.00 Uhr : Vor der Kirche wurden an die Teammitglieder Schutzhelme ausgegeben. Man brauchte niemanden zu erklären, was wer zu tun hatte. Jeder kannte seine Aufgabe und war mit dem Ablauf der Aktion vertraut. Josef Bertram und Andreas Marheineke sollten von unten mit Hilfe von 2 Seilen, die an den Uhren befestigt und heruntergelassen werden sollten, die Uhren von der Turmwand fernhalten, um so Schäden durch eventuellen Mauerkontakt zu verhindern. Reinhard Klauenberg sollte assistieren und den Gefahrenbereich sichern.
Bernward, Alexander , Florian und ich machten uns auf den Weg zur Uhrenetage im Turm. Zügig gingen wir die verwinkelten Treppen im Turm nach oben. Nach kurzer Zeit waren wir auf der Glockenetage in ca. 23m Höhe. Wenn der Atem jetzt etwas schneller ging, hat das nichts mit Aufregung zu tun, sondern lag am schnellen Aufstieg.
Der Fußboden der Glockenetage bildet die Traufenhöhe des ursprünglichen Kirchturms von 1778. Anfang 1900 wurde hier die Glockenetage daraufgebaut und darüber die Uhrenetage mit den vier gemauerten Turmgiebeln. Darüber erhebt sich der langgezogene Spitzturm aus Holz bis zur Gesamthöhe von ca. 60m, der weithin sichtbar ist. Die Höhe wurde aktuell noch einmal von Herrn Zeyher mit dem Laser gemessen und bestätigt.
Die Glockenetage hat ein Innenmaß von ca. 6 x 6m und ist 6m hoch. Der massive Glockenstuhl mit den 2 großen und einer kleineren Glocke nimmt fast den gesamten Platz ein, bis zur halben Höhe des Raumes. Von hier aus führt eine neue, gut begehbare Aluminiumleiter (die alte Holzleiter von 1900 war nicht mehr sicher) hinauf zur Uhrenetage.
Die Uhrenetage ist ebenfalls 6x6m groß und ist komplett mit einem Holzboden ausgelegt. Hier beginnt das Balkengerüst des hölzernen Spitzturms. Ferner ist hier der Stellmotor für die 4 Uhren zu finden, der alle 60 Sekunden das Verteilergetriebe in der Mitte des Raumes etwas weiterdreht. Vom Verteilergetriebe wird der Drehimpuls in alle 4 Richtungen über eine Stange an die Zeigergetriebe der Uhren weitergegeben. Die Stangen sind mit 12mm Stärke auf 3,50m Länge für meine Begriffe etwas schwach ausgelegt, aber es funktioniert seit 12o Jahren (anstatt des Stellmotors gab es jedoch früher ein schwerkraftbetriebenes Uhrwerk, ansonsten dürfte es beim ursprünglichen Zustand geblieben sein). Das Geld für die Turmerhöhung wurde von Dechant Spieker gespendet und vom Nachfolger Dechant Kaune ausgeführt.
Pfarrer Blumenberg gab mir vor ein paar Jahren die Gelegenheit, einiges im Pfarrarchiv nachzulesen. Im Pfarrarchiv enthalten ist der Bauplan von 1899. Geplant war es danach, je eine Uhr an die Ost- und Westseite einzubauen . Ausgeführt wurden sie an der Nord- und Südseite. Die beiden Uhren an der Ost- und Westseite wurden später vor die Fenster des Mauerwerks als offene Ringuhren gebaut, möglichweise aus privaten Spenden, wofür es aber keine Beweise gibt.Insgesamt gesehen ist der Turm eine hervorragende architektonische Leistung und passt sehr gut zum Gesamtbauwerk.
Als wir auf der Uhrenetage ankamen, übernahm jeder seine Aufgabe. Alexander spannte das Seil und befestigte es am Ausleger (an der Uhr war es bereits befestigt). Die Antriebsstangen waren bereits abgekoppelt. Bernward und ich waren vor 2 Tagen noch einmal hier oben und hatten noch mal alles überprüft.
Florian sicherte das Seil um einen Balken. Bernward und ich seilten uns mit Hilfe von professionellen Anseilausrüstungen an und begannen, einer rechts, einer links mit dem Lösen der Schrauben. Die Uhr war gelöst, wir schoben den Ausleger zentimeterweise heraus. In der Zeitung war zu lesen, mir wäre ein Stein vom Herzen gefallen, als die Uhr sicher auf dem Rasen des Friedhofs angekommen war, dass stimmte aber nicht.
Der spannende Moment für mich war der, als die Uhr frei am Ausleger hing. Nichts knackte oder knirschte, die Konstruktion hielt und alles verlief planmäßig. Alexander schob den Ausleger weiter. Er klemmte. Eine Schraube, die wir bei der Endmontage eingebaut hatten, war 1-2mm zu lang und war hinderlich für eine andere Schraube. Dass hatten wir übersehen. Wir brauchten einen Winkelschleifer, hatten wir aber nicht. Einen Winkelschleifer jetzt zu holen um die Schraube zu kürzen würde mindestens 20 Minuten dauern.
Will man im Einsatz ein Problem schnell lösen, muss man mit dem arbeiten, was man hat. Was hatten wir ? Zwei 13´Schraubenschlüssel, einen 24` Schraubenschlüssel, eine Wasserpumpenzange und eine Kneifzange. Die Wasserpumpenzange dürfte brauchbar sein. Wir entschieden uns, mit der Wasserpumpenzange kurzseitig eine Schraube zu lösen und zu entfernen. Es klappte .
Zwischendurch erklang der Halbstundenschlag für die Uhrzeit. Auf der Uhrenetage ist das unangenehm laut. Der Ausleger wurde weitergeschoben, vorbei am Hindernis. Die Schraube wurde wieder eingebaut, weiter ging es. Die Helfer, die unten waren wunderten sich wahrscheinlich, warum es nicht weiterging. Es ging weiter, der Ausleger war ausgefahren und wurde arretiert .
Bernward und ich befestigten an beiden Seiten der Uhrenscheibe lange Seile und ließen sie hinunter. Ein Seil wurde von einer Windböe erfasst und landete links auf dem Kirchendach. Also wieder hochziehen ( fast hätte es sich an einem Haken verfangen, aber es ging gut ). Der zweite Versuch klappte. Beide Seile waren unten und wurden von Josef und Andreas schräg zur Seite gezogen und unter Spannung gehalten. Dadurch blieb die Lage der Uhr stabil und konnte die Turmwand nicht berühren. Nur so konnten Beschädigungen während des Herunterlassens vermieden werden.
Oben löste Alexander das Seil aus der Arretierung am Ausleger. Zu dritt hielten wir jetzt das Seil. Florian sicherte um einen Balken für den Fall der Fälle. Langsam ließen wir die Uhr nach unten . Es kam uns oben recht lang vor, bis die Uhr unten ankam. Dann ließ die Spannung am Seil nach. Die Uhr war unten. „Der Adler ist gelandet“ , dachte ich scherzhaft.
Der Blick aus der kreisrunden Uhrenöffnung bot einen sehr schönen Ausblick. Die Uhr war wohlbehalten unten angekommen, wie geplant. Wir gingen alle vier nach unten zum Gruppenfoto mit Uhr, dass musste sein. Alle freuten sich über die gelungene Aktion.
Anschließend gingen es wieder nach oben, schließlich mussten wir noch die runde Platte hochziehen, um die Öffnung zu verschließen. Auf die gleiche Weise, auf die wir die Uhr heruntergelassen hatten, zogen wir die Verschlussklappe hoch und befestigten sie mit dem dafür vorgesehenen Spannschloss.
Anschließend wurde der Ausleger für das Herunterlassen bei der Norduhr angebaut. Diesmal war alles schon fast Routine. Es gelang ohne Probleme.
Mir hat die Aktion Spaß gemacht, vor allem, weil jeder im Team mitgedacht hat und dadurch lief alles reibungslos. Ich vermute, dass alle im Team es ähnlich sahen. In ein paar Wochen werden wir die Uhren wieder hochziehen und einbauen. Ich hoffe, es wird ähnlich laufen.
Benno Leinemann